Stil(l) leben.

Die Fastenzeit hat mich dazu animiert, mich mit dem Thema Stille zu beschäftigen. Haben Sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht, wieviel Zeit Sie pro Tag still verbringen?

Gibt es überhaupt Momente, die gänzlich lärmarm sind? Oder läuft der Fernseher, das Radio, der PC, das Handy fast 24 Stunden täglich? Zumindest in der Arbeitszeit wird es kaum möglich sein, kein einziges dieser Geräuschquellen zu aktivieren. Und wenn es kein Gerät ist, das Lärm macht, dann sind es vielleicht andere Menschen, die Geräusche von sich geben. Das was uns umgibt, ist akustische Penetranz!
Gibt es sie dann überhaupt, die komplette Stille? Vermutlich nicht, denn nicht mal im Mutterleib ist es wirklich still. Bereits drei Monate vor der Geburt ist das Innenohr des Kindes fertig entwickelt und es nimmt die ständigen Geräusche rundum wahr. Blutzirkulation, Herzschlag, Verdauungsgeräusche, Gespräche der Mutter sind permanente akustische Begleiter. Selbst nach dem Tod eines Menschen, wenn das Bewusstsein schon erloschen ist, werden Schallwellen vom Ohr noch aufgenommen.
Das würde also bedeuten, dass Stille eine individelle Wahrnehmung ist. Der eine empfindet sie im Kloster, der andere auf einem Berggipfel und wieder ein anderer im Haus, wenn alle schlafen.
Warum wird das WC als „stilles Örtchen“ bezeichnet? Weil man still, und für sich allein „Druck ablassen“ kann. Nicht selten entstanden dort die bedeutendsten Ideen und Errungenschaften.
Heute ist es hier leider auch nicht mehr so still wie früher. Hand aufs Herz: nehmen Sie manchmal Tablet oder Handy mit dorthin, um sich von ihrem Tun abzulenken? Ich gebe es zu, ich ertappe mich dabei, dass mir mein Handy sehr häufig überall hin folgt. Immerhin könnte man ja etwas verpassen! Einen Anruf oder eine Nachricht, was ja bedeutet, dass jemand gerade an mich denkt, und denjenigen lässt man doch nicht warten. In unserer Gesellschaft gehört es nicht unbedingt zum guten Ton, NICHT erreichbar oder auf Standby zu sein. Manchmal meint man, einen vorwurfsvollen Unterton mitschwingen zu hören in der Frage, warum man erst so spät geschrieben hat. Aber vielleicht bildet man sich das auch nur ein, weil man selbst nicht gerne wartet ?.


Ich glaube ja, dass es nur im Weltraum wirklich still ist. Auf der anderen Seite ist Stille manchmal auch eine Foltermethode. Einzelhaft mit absoluter Stille trieb so manchen schon in den Selbstmord oder noch schlimmer: in das Verrückwerden! Paradox, oder? Auf der einen Seite sehnen wir uns nach Stille, auf der anderen Seite fürchten wir sie auch.
Die Kloster-, Schweige- und Fastenurlaube boomen, immer mehr Menschen fliehen vor dem Alltagslärm und zahlen gutes Geld dafür. Dabei wäre es im Grunde gar nicht so schwierig für ein ruhigeres Leben zu sorgen. TV, PC, Tablet aus, Handy in Flugmodus. Was so simpel klingt, kann ein tonnenschweres Unterfangen sein. Doch wovor fürchten wir uns, wenn es still werden würde? Ist es Angst vor dem Alleinsein? Das Gefühl des Nicht-dazu-gehören, von Isoliertheit? Langeweile?
Was ist denn schlecht an einer „langen Weile“?
Mein Lieblingspädagoge und Tiefenpsychologe Andreas Winter schreibt, dass uns unsere „inneren Kritiker“(Eltern) schlechtes Gewissen machen, wenn wir nicht ständig etwas tun. Denken Sie mal darüber nach, es könnte sogar stimmen, dass wir uns häufig innerlich getrieben fühlen und uns unser inneres Kind durch permanente Geräuschkulissen mit seinen tiefen Bedürfnissen vom Leibe halten. Denn dann hören wir es ja nicht. Vielleicht entsteht Stille ja im Kopf und gar nicht im Außen. Ist Stille gleichzusetzen mit Ruhe?

Wenn man ein wenig still wird und bei sich Einkehr hält kann man sein Innerstes hören und ruhig werden. Mag sein, dass einem nicht immer gefällt was man da hört, doch es führt kein Weg an sich selbst vorbei und die ständige Ablenkung vor seinem Ich bringt im schlimmsten Fall unangenehme körperliche Symptome mit sich. Der Körper lügt uns niemals etwas vor.
Haben wir also keine Furcht vor der Stille, sie bringt Antworten auf alle Fragen.

Notiz an mich selber: „Stille lässt sich nicht an äußeren Orten finden. Der wichtigste Ort, an dem wir Stille erfahren können, ist unser Herz.“

Anselm Grün

2 Kommentare

  1. Theresa

    Schon interessant wie oft „Stille“ oder „Stillstand“ eher negativ empfunden wird. Dabei sind stille Momente so selten, dass sie eigentlich schon „trendy“ sein sollten, oder!? ?
    Ist natürlich nicht so einfach mit seinen Gedanken allein zu sein, aber oft kommen da sehr faszinierende Ideen, Erinnerungen oder Pläne an die Oberfläche!
    Cooler Beitrag auf jeden Fall ?? LG

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