Ein großes Wort, finden Sie nicht?
Aber nur, wenn man es wirklich, wirklich ernst meint.
Es kann auch ein Wort sein,  das einem schnell mal über die Lippen kommt, weil es manchmal  süffisant, zweideutig, unsicher, provokant oder doppeldeutig benutzt wird.  Vielleicht ist es tief im Inneren ernst gemeint, aber es wird eingebettet in Unsicherheit, damit man nicht dumm da steht wenn das grundsätzlich heilsame Wort vom Gegenüber nicht ernst- oder gar angenommen wird.

Verzeihen heißt: „Erinnern ohne Schmerz„.
Geht das überhaupt? Ja, das geht!
Mit Hilfe der Zeit, und der inneren Bereitschaft.
Konfuzius sagt: „Es schadet nicht, wenn einem Unrecht geschieht. Man muss es nur vergessen können.“
Klingt merkwürdig im ersten Moment, ich weiß, doch bei genauerer Betrachtung hat der große Meister recht. Verzeihen verhilft zu eigenem inneren Frieden und ist KEIN Zeichen von Schwäche, im Gegenteil!

Manchmal, tief im inneren, in unserem Kinder-Ich(Sigmund Freud), neigen wir dazu, aus sehr fragwürdigen Gründen nicht verzeihen zu können oder zu wollen. Man befürchtet, dem anderen dadurch einen Freibrief zu geben und möchte ihn bestrafen. Dass dadurch die Beziehung zu unserem Gegenüber im schlimmsten Fall auseinanderbricht, bedenken wir in unserem Zorn gar nicht.
Doch was hat man selbst dazu beigetragen, dass ein Verzeihen überhaupt notwendig ist? Auch diese Seite muss betrachtet werden, selbst wenn man sich als Verletzte(r) im absoluten Recht und in der Opferrolle sieht.
Aber wie oft soll man verzeihen? Ist es nicht auch wichtig, eine Grenze aufzuzeigen und dem Gegenüber zu vermitteln, wann etwas wirklich, wirklich genug ist? Was, wenn man sich selbst in all der Verzeihung verliert und irgendwann seine eigenen Grenzen nicht mehr kennt?
Jesus sagt: „Geben ist seliger denn nehmen„. Das bedeutet, dass wir gar nicht so oft verzeihen können, als dass uns schon vergeben wurde. Egal von wem. Irgendjemanden haben wir auch schon einmal verletzt und dann waren wir auf dessen „Gnade“ angewiesen. Ich weiß das klingt sehr theatralisch, doch ich denke dass es darum geht. Selbst wenn wir nicht um Verzeihung bitten, weil wir denken es sei egal, ob uns vergeben wird und wir auf die Zuneigung des anderen nicht angewiesen sind, ist ein wohlwollendes ungestörtes Verhältnis für jeden von uns ein beruhigendes Gefühl, denn JEDER  möchte geliebt, wertgeschätzt und (an)erkannt werden.
Und deshalb bin ich der Meinung, dass wir alle auf Vergebung angewiesen sind, Punkt.

Es gibt viele Gründe fürs Verzeihen: das Missverständnis, ein verpasster Termin, der zu früh eingetretene Tod eines geliebten Menschen, das selbst herbei geführte Lebensende, die Lüge, der Seitensprung, das Suchen von Bestätigung im Außen, das Herabwürdigen und Beschimpfen und so vieles mehr…
Letztendlich geht es bei jeder Verletzung um alte, meist kindliche  Erlebnisse, die darauf warten, gelöst zu werden.
So können wir also, im Erwachsenen-Ich, Verzeihen als Chance zur Heilung betrachten.
Mein Lieblingspädagoge und Tiefenpsychologe Andreas Winter sagt, dass es leider nicht sehr viele echte Erwachsene gibt, weil wir bei  jeder nächsten Gelegenheit als kindliche Opfer mit kindlichen Methoden reagieren(Rückzug, Angriff oder Totstellung).
Es liegt also noch ein weiter Weg vor uns zum wahren Erwachsensein, wenn wir das werden wollen!

Eines ist sicher: Verzeihen geht sicher nicht von heute auf morgen, es braucht seine Zeit und darf geübt werden. Letztendlich tun wir uns nur selbst den größten Gefallen, wenn wir es schaffen. Und vielleicht geht es gar nicht immer um das Verzeihen  der Fehler des anderen, sondern um unsere eigenen.

Falls  sie sich vielleicht gerade die Frage stellen ob sich verzeihen überhaupt lohnt, dann erinnern sie sich daran, dass Verzeihen eine Eigenschaft des Starken ist und nicht die des Schwachen!

Danke an alle Verzeiher und *Chapeau* an diejenigen die das Verzeihen täglich üben!